Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Johann Salomo Semler und die Aufklärung: Religion, Geschichte(n), Wirkung

Tagung gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung

organisiert von / organized by: Eric Carlsson (Madison, WI), Michael Lesley (Potsdam), Friedemann Stengel (Halle) und Thea Sumalvico (Halle)

vom 22.-25. Oktober 2025 / from 22.-25. October 2025

in Halle (Saale)

- English version below -

Im 300. Jahr nach der Geburt des Halleschen Theologen Johann Salomo Semler (1725–1791) widmet sich eine internationale und interdisziplinäre Tagung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg der Person, dem Werk, dem Kontext und der Rezeption eines der einflussreichsten und produktivsten Autoren des 18. Jahrhunderts. Dabei sollen auch grundsätzliche Fragen über das Verhältnis von Aufklärung und Religion, von ‚Liberalismus“, Toleranz und Antijudaismus, von ‚Pietismus‘ und ‚Neologie‘ zur Sprache kommen. Weit über die Universitätstheologie hinaus hat sich Semler an scheinbar allen zentralen zeitgenössischen Debatten des 18. Jahrhunderts seit den 1750er Jahren beteiligt. Als Lehrer und langjähriger Dekan der Theologischen Fakultät Halle prägte er mehrere Generationen von Theologen und zahlreiche spätere Professoren. Semler gilt als Mitbegründer und Hauptvertreter der „Neologie“ und damit des Hauptzweigs der theologischen Aufklärung. Schon zu Lebzeiten wurde ihm die Vaterschaft der „historisch-kritischen Bibelauslegung‘ und später eine zentrale Rolle bei der „hermeutischen Wende“ des 18., Jahrhunderts zugeschrieben, bei der vermeintlich die Lehre von der Verbalinspiration zurückgewiesen und die Bibel nicht mehr (oder kaum noch) als Wort Gottes betrachtet wurde, sondern als ein Buch wie jedes andere.
Zugleich sind manche der Zuschreibungen Semlers als Avantgardist der Aufklärung oder gar als Protagonist des Liberalismus durch neuere Forschungen ins Wanken geraten. Semlers eigene Frontstellungen scheinen die Behauptung eines – nicht nur theologischen – Liberalismus und aufgeklärter Toleranz in Frage zu stellen: seine antijüdische Theologie, seine Beteiligung an den schroffen antikatholischen und antijesuitischen Polemiken in Preußen, seine scharfe Abweisung ökumenischer und kirchenunionistischer Pläne, seine hermetischen Projekte und schließlich seine Verteidigung des verhängnisvollen Woellnerschen Religionsedikts werfen nicht nur auf Semler ein anderes Licht, sie erhellen auch die ambivalenten Züge der Aufklärungsdebatten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Gerade an der Person Semlers lässt sich diskutieren, ob und inwiefern Aufklärungsmodelle des späten 19. und des 20. Jahrhunderts in das 18. Jahrhundert rückprojiziert worden sind, die Ambivalenzen verdeckt und zur Marginalisierung „unaufgeklärter“, vielleicht superstitiöser, illiberaler oder staatsfrommer Züge des vermeintlichen Gründungspersonals der Moderne geführt haben. Auch lässt sich anhand von Semler fragen, wie solche Verschiebungen und die Widersprüchlichkeiten, Verdrängungen, Fronten und Defizite herkömmliche Konzeptionen von ‚Aufklärung‘ korrigiert und erweitert werden können und müssen.
Um Semlers vielfältige Beteiligungen und Verflechtungen auf die Spur zu kommen, braucht es ein hohes Maß an Interdisziplinarität. Die Tagung möchte zur Beschäftigung mit den vielfältigen Debatten von Bibelhermeneutik über Dämonologie, Konfessionalismus, Hermetismus und Alchemie einladen, an denen Semler beteiligt war. Auch die Frage nach Semlers Rezeption soll Berücksichtigung finden. Darüber hinaus hoffen wir, eine Brücke zwischen deutscher, anglophoner und weiterer Aufklärungsforschung schlagen zu können.

Johann Salomo Semler and the Religious Enlightenment: Histories, Contexts, Legacies

To mark the 300th anniversary of the birth of the Halle theologian Johann Salomo Semler (1725–1791), there will be an international, interdisciplinary conference at the Martin Luther University Halle-Wittenberg dedicated to the person, work, context, and reception of one of the most influential and productive theologians of the eighteenth century. Semler is considered a co-founder and the central figure in "Neology" and thus of the main branch of the enlightenment theology. During his lifetime he was credited as the father of "historical-critical Bible interpretation" and, later, as central to the "hermeneutical turn", whereby the doctrine of verbal inspiration was supposedly rejected, and the Bible no longer (or only tenuously) regarded as the Word of God, but as a book like any other, and in the theory of accommodation, making space for the Bible to be erroneous. At the same time, he was central to the development of the modern conception of religion, making a sharp practical division between public and private religion, and coining the term, and in many ways the concept, of liberal theology. Beyond university theology, Semler participated in seemingly every central contemporary debate of the eighteenth century, from the 1750s until his death in 1791 and as a teacher and long-time dean of the Theological Faculty of Halle, where he shaped several generations of pastors, theologians and professors who would go on to be key figures in nineteenth century theology.
At the same time, some visions of Semler as an avant-gardist of the Enlightenment or as a protagonist of Liberalism have been called into question by recent research, as some of Semler's positions seem to challenge the claim of liberal, enlightened tolerance, as we understand them. His anti-Jewish theology, his participation in the harsh anti-Catholic and anti-Jesuit polemics in Prussia, his sharp rejection of ecumenical and church unionist plans, his hermetic projects, and his defense of Woellner’s Religious Edict not only cast Semler in a different light, but illuminate the ambivalent features of enlightenment debates in the second half of the eighteenth century more broadly. This makes Semler’s work an excellent vantage from which to explore the ways nineteenth- and twentieth-century conceptions of Enlightenment have been projected onto the eighteenth century, concealing ambiguities and "unenlightened"––superstitious, illiberal, state-centric––views among the ostensible founding figures of modernity. The conference is interested therefore not only in Semler's work, but in the intellectual and political contexts in which his work was so influential and, ultimately, fundamental questions about the relationship between Enlightenment and religion, liberalism, tolerance, and anti-Judaism, as well as about pietism and neology. We hope, moreover, to bridge the gaps and differences between contemporary Anglo, German, and other continental traditions of scholarship on enlightenment studies.

Programm


Mittwoch, 22. Oktober 2025 Theologische Fakultät, Haus 30

  • 18:00-19:30 Uhr

Friedemann Stengel: Einführung

Abendvortrag Eric Carlsson (Madison, Wisconsin): Für wen hielt Semler sich? Zur Selbstinszinierung eines “guten christlichen Mannes”


Donnerstag, 23. Oktober 2025 Neubauer-Saal, Haus 52

Semler, Streitkultur, Öffentlichkeit

  • 9:00-10:30 Uhr

Veronika Albrecht-Birkner (Siegen): Johann Salomo Semler und die Theologische Fakultät Halle

Holger Zaunstöck (Halle): Aufruf zur Denunziation. Johann Salomo Semler und sein Kampf gegen das gräßliche Ungeheuer

  • 11:00-12:30 Uhr

Roland Lehmann (Göttingen): Was ist christliche Religion? Die Debatte zwischen Carl Friedrich Bahrdt und Johann Salomo Semler

Stefan Rhein (Wittenberg): "So viel Geräusch Herr Basedow machte, so wenig Nutzen ist dadurch gestiftet worden" - Semlers Auseinandersetzung mit der philanthropischen Pädagogik

Semler als Historiker

  • 14:00-15:30 Uhr

Stefan Michels (Frankfurt): Programmatisch undogmatisch. Johann Salomo Semler und die Geschichte der Kirche

Lothar Vogel (Rom): Semler und die Dekonstruktion der Heilsgeschichte

  • 16:00-17:30 Uhr

Douglas Shantz (Calgary, Kanada): J.S. Semler, Gottfried Arnold and Siegmund Jacob Baumgarten on early Christian heretics and the Radical Reformers.

Anett Lütteken (Zürich): Die nüchterne Suche nach den „wirklichen Quellen“: Johann Salomo Semlers Beitrag zur Historiographie des Aufklärungszeitalters


Freitag, 24. Oktober 2025

Semlers Religionsfronten

  • 9:00-11:15 Uhr

Gabriele Bellinzona (Hamburg): Die „Kompensationstheorie“ im Spannungsfeld der Konfessionen. Das Missionsdenken bei Johann Salomo Semler und Alois Merz

Reinhold Rieger (Tübingen): Antijudaismus durch Aufklärung? Der Fall Johann Salomo Semler

Daniel Cyranka (Halle): Mohammed bleibt ein vorsetzlicher Betrüger“ – Semlers Kommentare zur Uebersetzung der Algemeinen Welthistorie (1759).

Private und öffentliche Religion bei Semler

  • 11:30-13:00 Uhr

Thea Sumalvico (Halle): „Ein so gegründetes, so weises, so gemeinnütziges Edikt“. Semlers Verteidigung des Woellnerschen Religionsediktes vor dem Hintergrund seiner Lehre von öffentlicher und privater Religion.

Daniel Weidner (Halle): Religion, vielfach unterschieden. Zur politisch-theologischen Genealogie des Religionsbegriffs in Johann Salomo Semlers späten Schriften

  • 14:00-14:45 Uhr

Joyce Irwin (Princeton, New Jersey): The Role of Public Worship according to Semler

Semler als Hermetiker und Theosoph

  • 14:45-15:30 Uhr

Friedemann Stengel (Halle): Zwischen Revolution und Revision. Semler in der „theosophischen Zeit“

  • 16:00-17:30 Uhr

Karl Baier (Wien): Semler und die Dämonen

Hiram Kümper (Mannheim): Musik und Spiritualität bei Johann Salomo Semler


Samstag, 25. Oktober 2025

Semler als Exeget

  • 9:00-10:30 Uhr

Patrick Bahl (Münster): Johann Salomo Semlers Römerbriefparaphrase (1769) im Spiegel der Exegesegeschichte des 18. Jahrhunderts

Benedikt Brunner (Jena): „Keine res divinas in diesem finstern und albernen Buche“. Johann Salomo Semler und die Auseinandersetzung um die Johannesoffenbarung in seiner Zeit

Semlers Rezeption

  • 11:00-12:30 Uhr

Michael Lesley (Potsdam): Kant, Semler and his Reception in German Philosophy

Annette Aubert (Glenside, Pennsylvania): The Reception of Johann Salomo Semler in the Nineteenth-Century English-Speaking World

Informationen und Anmeldung: Annegret Jummrich

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