Pietismus und die Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert
Forschungskolloquien 2011
Pietismus und die Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert
In der diesjährigen Kolloquiumsreihe steht der Pietismus in den Niederlanden im Mittelpunkt. Die Reihe schließt an das in Halle derzeitig lebendige wissenschaftliche Interesse an der niederländischen Kultur im 17. und im 18. Jahrhundert an. Vom 2. bis 4. September 2010 fand eine zweitägige Tagung zum Thema Kulturtransfer zwischen Mitteldeutschland und den Niederlanden in den Franckeschen Stiftungen sowie im Schloss Oranienbaum statt. Vom 17. September bis 16. Dezember 2010 zeigte das Interdisziplinäre Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) die Ausstellung ‚Spinoza im Kontext‘. Das IZP erweitert das Blickfeld mit Vorträgen, die zeigen, dass die Niederlande nicht nur als ‚Umschlagplatz‘ englischer pietistischer Erbauungsschriften fungierten, sondern ebenfalls als direkter Bezugspartner für die deutsche Gebiete. Darüber hinaus versucht die Reihe dem Pietismus als europäischem, über die Grenzen des deutschen Sprachgebiets hinaus gehendem geistes- und kulturgeschichtlichen Phänomen gerecht zu werden, indem es den niederländischen Pietismus zentral stellt. Durch eine Auseinandersetzung mit Tendenzen und Forschungstraditionen in der niederländischen Kulturgeschichte sollen neue Impulse für die Pietismusforschung fruchtbar gemacht werden. In den Vorträgen von Guillaume van Gemert, Els Stronks und Viktoria Franke wird der Blick auf die deutsch-niederländischen Beziehungen im Pietismus gelenkt, während Mirjam de Baar in ihrem Vortrag über religiöse Netzwerke die Verbindung zu England mit einbezieht. Der historischen Interdisziplinarität des Pietismus wird in den Vorträgen zu den künstlerischen Tätigkeiten Anna Maria van Schurmans (Katlijne van der Stighelen) und zu Emotionen und ihrer Darstellung (Herman Roodenburg) Rechnung getragen. Joris van Eijnatten geht auf den Zusammenhang zwischen dem Pietismus, dem Publikum und der Entstehung bürgerlicher Werte ein, während Fred van Lieburg Traditionen der Pietismusforschung kritisch hinterfragt und Joke Spaans sich auf die Missionsbestrebungen in der reformierten Kirche konzentriert. Die Vortragsreihe wird von Inger Leemans eröffnet, die die allgemeine Praxis der Kulturgeschichtsschreibung in den Niederlanden erläutert.
Konzeption:
Dr. Viktoria Franke
Termine 2011:
- 25. Januar 2011:
Prof. Dr. Inger Leemans (Vrije Universiteit Amsterdam):
The Practice of Cultural History
Inger Leemans studierte niederländische Sprache und Literatur an der Universität Utrecht. Sie promovierte 2002 mit einer Dissertation über niederländische pornographische Romane im Zeitraum 1670 bis 1700. Ab 2003 arbeitete sie an der Radboud Universität Nijmegen als Post Doc an dem Projekt ‚The Cultural Influence of the German-speaking Countries in the Netherlands between 1750 and 1840‘ und ab 2005 als Dozentin für Kulturgeschichte an dieser Universität. Sie hat zahlreiche Studien und Aufsätze zur Wissenschaftsgeschichte, zur Literatur in der Frühen Neuzeit, zur Geschichte der erotischen Literatur und zur ‚cultural economy‘ geschrieben. Seit Juli 2010 hat sie an der Vrijen Universität Amsterdam einen Lehrstuhl für Kulturgeschichte, mit niederländischer Kultur als Schwerpunkt.
- 22. Februar 2011:
Prof. Dr. Katlijne Van der Stighelen (Katholieke Universiteit Leuven):
Anna Maria van Schurman (1607-1678) as an Artist
Katlijne van der Stighelen ist Professorin für Kunstwissenschaft an der Katholischen Universität Leuven in Belgien. In ihrer Forschung steht die flämische Malerei des 17. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Die Porträtmalerei sowie historische Künstlerinnen und das Phänomen des weiblichen Dilettantismus genießen ihre besondere Aufmerksamkeit. 1987 veröffentlichte sie eine Monographie über die künstlerischen Arbeiten der Gelehrten Anna Maria van Schurman und 2010, zusammen mit Jeanette De Landtsheer, einen Aufsatz zur Beziehung van Schurmans zu Contantijn Huygens, einem der größten Dichter des Goldenen Zeitalters.
- 22. März 2011:
Prof. Dr. Fred van Lieburg (Vrije Universiteit Amsterdam):
Pietismusforschung als protestantische Erinnerungskultur
Fred van Lieburg ist Professor für die Geschichte des niederländischen Protestantismus an der Vrijen Universiteit Amsterdam. Seine Schwerpunkte bilden die Geschichte des Calvinismus und des Pietismus. Ein besonderes Interesse gilt dabei dem pastoralen Markt in den Niederlanden zwischen 1570 und 1900. Van Lieburg beschäftigt sich mit Spiritualität und Frömmigkeit, Kultur und Gesellschaft in den Niederlanden vom 17. Jahrhundert bis heute, insbesondere mit den Themen Konfessionalisierung, ‚Nadere Reformatie‘, reformierter Pietismus, Réveil und dem niederländischen Bibelgürtel. Zusammen mit Joris van Eijnatten veröffentlichte er 2005 eine Übersicht über die 2000-jährige Geschichte der Religion in den Niederlanden. Eine deutsche Übersetzung erscheint im Frühjahr 2011.
- 19. April 2011:
Dr. Els Stronks (Universiteit Utrecht):
Dutch-German Connections in Pietistic Illustrated Literature in the Seventeenth Century
Els Stronks ist als Forscher und Dozent an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Utrecht tätig. Sie promovierte 1996 mit einer Dissertation über die Funktion der Poesie gelehrter Prediger in der Republik. Sie veröffentlichte Aufsätze über die Rezeption von Literatur, über Egodokumente, die Calvinisierung der niederländischen Literatur und die Bearbeitung klassischer Theaterstücke. Zwischen 2003 und 2006 leitete sie ein Digitalisierungsprojekt zur religiösen Emblematik im 17. Jahrhundert, seit 2007 arbeitet sie an einem Nachfolgeprojekt. Eine englischsprachige Monographie mit dem Titel 'Negotiating Differences in Identity: The Religious Emblem in the Dutch Republic' erscheint 2011.
- 31. Mai 2011:
Prof. Dr. Guillaume van Gemert (Radboud Universiteit Nijmegen):
Seidenbecher, Serrarius, Knorr – Amsterdamer Apokalypsekommentare aus den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts
Guillaume van Gemert hat an der Radboud Universiteit Nijmegen eine Professur für deutsche Literatur und Kultur des 16. bis 18. Jahrhunderts und moderne deutsche Literatur. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze zur frühneuzeitlichen deutschen Literatur, v.a. im europäischen Kontext, zur deutschen Literatur nach 1945, zu den deutsch-niederländischen Beziehungen, zur geistlichen Literatur der Reformation und Gegenreformation im deutschen Sprachgebiet, zur Kultur und Geschichte des Niederrheins und des Schelmenromans und der pikaresken Tradition im deutschen Sprachgebiet vom Barock bis heute. Van Gemert ist Mitglied des Vorstands der Knorr-von-Rosenroth Gesellschaft.
- 28. Juni 2011:
Der Vortrag von Frau Dr. Spaans muss leider entfallen!
Dr. Joke Spaans (Universiteit Utrecht):
Mission Initiatives in the Seventeenth Century Dutch Reformed Church
Joke Spaans arbeitet an der Theologischen Fakultät der Universität Utrecht. Sie hat 1989 über die Stadt Haarlem nach der Reformation in Leiden promoviert. 1998 hat sie eine Studie über Armenfürsorge in der Provinz Friesland zwischen 1500 und 1800 veröffentlicht. 2001 war sie Herausgeberin einer Studie über Erweckungen in der Mitte des 18. Jahrhunderts in der Republik. 2010 hat sie eine Studie über die Polemik in den Jahren 1705 bis 1724, die zu einem Schisma der Katholischen Kirche in den Niederlanden führte, herausgegeben. Seit 2010 leitet sie in Utrecht das Projekt 'Fault line 1700: Early Enlightenment Conversations on Religion and the State'.
- 5. Juli 2011:
Prof. Dr. Joris van Eijnatten (Universiteit Utrecht):
Awakening, Erweckung, Opwekking. The eighteenth-century Connection between Pietism, Audiences and Civic Values
Joris van Eijnatten studierte Geschichte an der Vrijen Universiteit Amsterdam und hatte dort mehrere Stellen. Seit 2007 hatte er in Amsterdam eine Professur für Kulturgeschichte. 2003 erschien seine Studie 'Liberty and Concord in the United Provinces. Religious Toleration and the Public in the Eighteenth-Century Netherlands'. Seit 2009 hat er einen Lehrstuhl für Kulturgeschichte an der Universität Utrecht. Seine Forschungen liegen auf dem Schnittpunkt zwischen Ideengeschichte, Geschichte der Religion und der Medien und Kommunikation zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert. Er hat Studien und Aufsätze zu Themen wie Freiheit und Toleranz, Pressefreiheit und Irenismus veröffentlicht. Im Moment schreibt er eine Übersichtsdarstellung zur Geschichte der Medien und Kommunikation mit dem Titel 'From Village Square to Cyberspace'.
- 25. Oktober 2011:
Prof. Dr. Mirjam de Baar (Rijksuniversiteit Groningen):
International Networks of early Pietists in the Dutch Republic, Germany and England
Mirjam de Baar promovierte 2004 an der Universität Groningen mit einer Studie über die spirituelle Autorität der Mystikerin Antoinette Bourignon (1616-1680). Als Dozentin unterrichtet sie in Groningen Geschichte des Christentums und zur Geschlechterforschung. Seit Oktober 2009 ist sie Professorin für die Geschichte und die Prinzipien des Unitarismus. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Netzwerke religiöser Dissidenten in der Republik der Vereinigten Niederlande und in der Verbindung von Religion und Autobiographie. De Baar hat auch mehrfach über Anna Maria van Schurman publiziert.
- 1. Dezember 2011,
Amerika-Zimmer (Haus 1) der Franckeschen Stiftungen:
Prof. Dr. Herman Roodenburg (Meertens Instituut, Koninklijke Nederlandse Academie der Wetenschappen):
Der Prediger als Pathopoios. Über Träne und Körperlichkeit im Pietismus des achtzehnten Jahrhunderts
Herman Roodenburg studierte Soziologie und Geschichte an der Universität von Amsterdam. Er promovierte dort 1989 über die Volkskultur im 17. Jahrhundert und ihre Disziplinierung durch die calvinistische Kirche. Seit 1987 arbeitet er am Meertens Instituut, das sich mit der Erforschung und der Dokumentation der niederländischen Sprache und Kultur aus einer ethnologischen Perspektive beschäftigt. Er veröffentlichte über materielle Kultur, insbesondere über Kleidung und Körperlichkeit, über visuelle Kultur und über die Theorie und die Historiographie der Volkskunde. Seit 2002 ist er Professor für Historische Anthropologie an der Katholieke Universiteit Leuven.
- 6. Dezember 2011:
Dr. Viktoria Franke (IZP, Universität Halle):
Niederländische Kontakte im Netzwerk Friedrich Brecklings (1629-1711)
Viktoria Franke studierte Kultur- und Mentalitätsgeschichte an der Radboud Universität Nijmegen. Seit 2003 arbeitete sie an dieser Universität an dem Projekt ‚The Cultural Influence of the German-speaking Countries in the Netherlands between 1750 and 1840‘. 2009 promovierte sie mit einer Dissertation über die Rezeption deutscher Theologie und Philosophie in niederländischen Rezensionszeitschriften im Zeitraum 1774 bis 1837. Seit Januar 2010 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der Universität Halle. Sie arbeitet an einem Habilitationsprojekt über den Spiritualisten und radikalen Gesellschaftskritiker Friedrich Breckling (1629-1711). Frankes Forschungsschwerpunkt lag bisher auf dem Gebiet der sozialen Ideengeschichte, der Mediengeschichte und Zeitschriftenforschung, des langen 18. Jahrhunderts und des Kulturtransfers zwischen den Niederlanden und den deutschen Ländern.